Über das Duo Lottchen


Tales For My Mother

Von „raffiniert gewobenen Klang-Parcours“ (In-Music), von „subtilen Hörabenteuern“ (Jazzthing) und von „unwiderstehlichem Charme“ (Süddeutsche Zeitung) schwärmen Kritiker seit 14 Jahren. Seit es Lottchen gibt, das Duo der Sängerin Eva Buchmann und der Vibrafonistin Sonja Huber. Und vielleicht hätte diese rare und intime Kombination von Vibrafon und Gesang eine noch größere Wirkung entfaltet, hätten die beiden nicht zweimal eine Baby-Pause eingelegt. Andererseits würde es sonst vermutlich das einzigartige Projekt nicht geben, das die beiden nun fertiggestellt haben: „Tales For My Mother“, das neue Lottchen-Album nach den preisgekrönten „Lazy Afternoon“, „Travelling Birds“ und „Quiet Storm“, ist eine Ode ans Mutter-Sein, inspiriert von ihren Müttern wie von der eigenen Mutterrolle, von unerfülltem Kinderwunsch, aber auch von „Mutter Erde“ und der Suche nach den eigenen Wurzeln.

Eine ganz persönliche Angelegenheit also, weshalb auch alle Stücke selbst komponiert und betextet sind - alle bis auf „Say A Prayer“, das von der auf Hawaii lebenden Improvisations-Koryphäe Rhiannon stammt, die viel mit Weltstar Bobby McFerrin und Grammy-Gewinner Lawrence Hobgood arbeitete und seit einer Begegnung 2018 zu einer musikalischen Mutterfigur für Eva Buchmann geworden ist. Was das bislang poetischste, emotionalste und dichteste Werk von Lottchen ergibt. Ein intimes Liederalbum zwischen Jazz und Singer/Songwriter-Pop, das sein Thema in vielen Variationen erzählt: Von der Erinnerung an ein beseeltes Elternhaus („Acre of Land“) über die logischerweise unterschiedliche Weltsicht der Generationen („Turning Pages“) zum magischen Moment, das eigene Kind nach der Geburt zum ersten Mal im Arm zu halten („Here We Are“). Vom Spiel der Kinder („Jael“) bis zum Funken des Lebens, wie er sich im Leuchten der Augen einer 100-Jährigen ebenso zeigt wie im Lachen eines Bestatters („The Spark“). 

Eine ebenso berührende wie spannende Reise durch das Wunder des Lebens und Leben-Schenkens im unverwechselbar lyrischen Stil des Duos. Ganz auf ihr Thema und ihre Melodien konzentriert, verzichten Buchmann und Huber diesmal auf die gewohnten Ausflüge in den Tango oder zur brasilianischen Musik. Umso variabler und detailreicher fangen sie die Atmosphäre und Stimmungen ihrer Songs ein. Und werfen dabei ihre herausragende Musikalität und Technik in die Waagschale. 

Da ist zum einen die bestechend klare Stimme der in Holland geborenen, unter anderem in Berlin ausgebildeten und nun in Köln lebenden Belgierin Eva Buchmann - die freilich auch klassischen Swing perfekt interpretieren kann, wie sie als aktuelle Lead-Sängerin des Glenn Miller Orchestras beweist. Hier erklingt sie mal mit dem folkigen Unterton einer Joni Mitchell, mal mit dem Understatement einer Norah Jones. Sie kann hauchzart begleiten und in der Gospeltradition explodieren – beides beim „Empowerment“-Song „Say A Prayer“ zu hören -, ganz ruhig und tief Balladen grundieren (wie in „Here We Are“) oder sich kraftvoll in große Höhen schwingen und auch verblüffend lange dort verbleiben (etwa in „Turning Pages“); sie dringt mit emotionsgeladene Texten wie von „How Much Longer“ unter die Haut und direkt ins Herz, kann aber auch mit rein klangmalerischen Vokalisen im Walzertakt tanzen wie bei „Jael“. 

Stets wird das von der in Basel und Berlin ausgebildeten Schweizerin Sonja Huber am Vibrafon ideal begleitet, ergänzt und weitergeführt. Man hört ihrem harmonischen und melodischen Verständnis an, dass sie vom Klavier kommt. Und dass sie, als sie mit 16 zum Vibrafon wechselte, bei David Friedman und anderen Großen der Zunft gelernt hat. Insbesondere ihre unverkopfte Virtuosität kommt der eines Gary Burton sehr nahe. Ob sie den Metallplatten ganz sparsam Töne entlockt, um sie sanft ausklingen zu lassen wie schon eingangs auf „Acre of Land“ oder praktisch nur Begleitakkorde im Stakkato anschlägt, ob sie die Mallets wirbeln lässt, den Klang ihres Instruments pulsieren oder wie Glocken erklingen lässt oder etwa in „Field Trip“ und „Here We Are“ mit Bogenstrich für sphärische, schillernde Sounds sorgt, auf „Tales For My Mother“ wird das ganze Potenzial ihres Instruments ausgeschöpft und in den Dienst der Songs gestellt. Je nach Stimmung und Emotion lässt Huber ihr Instrument mitatmen, passt sie mit genauem Gehör die Dynamik an, wird sie quasi zur Traumbegleiterin.

So sehr das Album von der Ruhe und Intimität lebt, so sehr ist es doch Buchmanns und Hubers Sinn für Rhythmik und die Kunst der Pause, die es ganz besonders macht. Und dass einem diese „Tales For My Mother“ so unter die Haut gehen, liegt nicht zuletzt daran, dass auf die sonst bei einer Album-Produktion üblichen Tricks verzichtet wurde. Buchmann und Huber nahmen alle Stücke im September 2020 live im Konzertsaal des Alten Pfandhaus in Köln auf. Gleichzeitig wurde alles auf Video festgehalten, parallel zur CD wird nun auch ein Song pro Monat als Musikvideo erscheinen, bis zu einer Vinyl-Edition im Februar 2022 als krönendem Abschluss. 

So wird dieses Album zum einzigartigen Projekt, das zugleich Ausdruck des Spirits der jungen Jazzer-Generation ist, der Buchmann und Huber angehören. Ergebnis einer Lust an der Improvisation, die ohne Scheuklappen durch die Musikgeschichte streift und die Qualitäten des klassischen Songwritings zu schätzen weiß. Beim Lottchen-Meisterwerk „Tales For My Mother“ kommt die Kraft aus der Ruhe. Es ist gewissermaßen die Mutter aller Vibrafon/Gesangs-Alben.

(Oliver Hochkeppel)

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